Bühnenwerke: Versunkene Äcker
 


Deutsches Staatstheater Temeswar

Schauspiel in 6 Bildern, Premiere: 1. Oktober 1961;

Regie: Rudolf Schati, 51 Aufführungen, 15 593 Zuschauer

 

 

NEUER WEG, vom 6. Oktober 1961

  Das Leben selbst spielt es weiter.
Zur Uraufführung von Hans Kehrers Schauspiel
"Versunkene Äcker" im Temeswarer Deutschen Staatstheater

Die erste Aufführung eines Theaters, die erste Uraufführung eines Bühnenstücks, das ein deutschsprachiger Autor unseres Landes geschrieben hat und darüber hinaus ein erregendes Moment: die sehr direkte Beziehung zum Geschehen des Stückes die jeden einzelnen im Saal einschloss, zu den Ausschnitten, die Vergangenes aufleben ließ, noch mehr aber zu den Bildern aus der Gegenwart, die das Stück fugenlos umrahmten. Die starke Wirkung von Kehrers Schauspiel beruht gerade  darauf, dass er solch Erlebtes, solche Wirklichkeit mit künstlerischer Fantasie, aber mit einfachen Mitteln, wie es der spröde Stoff verlangte, nachgestaltet hat. Beruht auf der Fülle dramatischer Momente, auf starken, logisch aufgebauten Konflikten, die nicht in der Luft hängen, lebenswahr sind, weil sie – und das ist einer der größten Vorzüge des Bühnenstückes – organisch getragen werden von zumeist scharf konturierten, ausgeprägten Gestalten, von einem Dialog, der, wie die Anlage der Charaktere, einfach ist, aber sehr oft gut pointiert. Nicht im Sinne des Geistreichen, des Witzigen, sondern der Prägnanz, die dennoch nicht gesagtes mitschwingen lässt, und in der Darstellung Nuancierungen ermöglicht. Beruht auf dem schnörkelfreien Realismus, geschrieben aus heutiger Sicht, aus heutiger Erkenntnis, die weiß, dass es die "gute, alte Zeit" nicht gegeben hat, weil diese Zeit erfüllt war vom Ringen um materielle Existenz, von sozialen Kämpfen, wenn sie auch nicht immer mit der Waffe in der Hand ausgetragen wurden.

Das will Kehrer mit seinem Stück, vor allem mit einer logisch aufgebauten Fabel aussagen. Einfach, aber  zwingend. Johann Taugner, der Vertreter der armen Bauern im Gemeinderat, der Wortführer derer aus der Untergasse, die unter dem hereinfluteten Hochwasser, das Felder vernichtet und sogar das Dorf erreicht, jene Häuser, in denen  sie wohnen, am meisten zu leiden haben, in ihrer Existenz bedroht sind, lebt in seiner Vorstellungswelt noch immer in einem patriarchaischen Dorf, glaubt noch immer an eine

Dorfgemeinschaft. Obwohl – es ist die Zeit um das Jahr 1905 – die kapitalistische Differenzierung in Großbauern, Mittelbauern und Kleinbauern, die kapitalistischen Besitzverhältnisse auch in diesem Banater Dorf längst Realität sind. Er stößt auf sie, er steht mitten in ihnen, als Vertreter der Armen, aber er weiß sie noch nicht zu deuten. Sich dessen bewusst zu werden, dass er mit jenen, die Großbauern geworden sind, nie mehr eine Gemeinsamkeit geben kann. Aber er geht nicht nur hinter dem Pflug hinterher, er denkt auch. Kann man ihm verbieten dass er denkt, dem Kopf? Fragt er. Sein Kopf arbeitet und denkt über den Augenblick hinaus.

Der Kampf gegen das Hochwasser soll nicht Stückwerk bleiben, soll die Gefahr für die Dauer bannen. Es gibt eine Lösung: das Flussbett zu verlegen, weg vom Dorf. Sein Gedanke, seine Entdeckung, sein Plan, sein Vorschlag. Aber er kostet Geld, und der Richter Borth verweigert das Geld. Die Obergasse ist nicht bedroht, und die vollen Speicher der Großbauern können auch die Überschwemmungsjahre anfüllen. Was schert ihn die Untergasse. Er will kaufen und seine Wirtschaft vergrößern. Und er kauft,

150 Joch, vom Gutsbesitzer, der sein Vermögen verklopft hat, kauft um ein Spottgeld, weil der andere ruiniert ist. Er muss sich bloß eine Fähre bauen, denn das Feld liegt hinter dem Flussbogen. Muss er aber hinter dem Flussbogen liegen bleiben? Kann man es nicht herüberbringen, indem man das Flussbett hinüberträgt, weg vom Dorf, so wie es Taugner vorgeschlagen, nur etwas weiter, damit das ganze Feld herüberkommt. Eine enorme Spekulation, weil das doch ein sehr starkes Gefälle sein würde, und es nicht abzusehen ist, wie viel Land der Fluss, der sein Bett allein weitergräbt, verschlingen würde. Das wäre aber nicht mehr sein Feld. Das Gutachten des Kommitatsingenieurs, der das Risiko genau einschätzen kann, erwirbt der Richter um 6000 Kronen. Es wird gegraben und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Denn der Fluss gräbt weiter, Tag und Nacht, Stück um Stück, 10 Joch, 100 Joch, 150 Joch, das Feld der armen Leute. Taugners Vorschlag, Taugners Schuld. Alle sagen es ihm, im Zorn, in Verzweiflung. Da nimmt Taugner den Kampf von neuem auf. Den Kampf um die Wahrheit, der wieder ein Kampf gegen Richter Borth und den Mühlenbesitzer Kettenstock ist. Schade, dass das Stück nicht in jeder Beziehung ausgereift ist. Denn Borths Selbstmord ist nicht genügend begründet, und die Abwendung Resis von ihrem Verlobten – der Parallelkonflikt des Stückes – hätte besser motiviert werden müssen, damit der Eindruck ganz verschwindet, sie hätte es doch mehr unter dem Eindruck ihres toten Vaters getan. Mit Resi hat Kehrer scheinbar eine ausgezeichnete Möglichkeit ungenützt gelassen: die Wandlung einer Frau, die für das Dorfgeschehen kaum Interesse hat, zu einem Menschen, der sich bewusst von der Familie das Richters lossagt, nachzuzeichnen. Damit hätte das Stück wenigstens eine ausgeprägtere Frauengestalt gewonnen. Entbehrlich dagegen ist der betrunkene Gemeindediener, nicht deshalb, weil er zu sehr an den Frosch aus der Fledermaus erinnert, sondern weil er in die Atmosphäre des Stückes nicht recht hineinpassen will. Eines ist sicher. Man hätte für die Inszenierung keinen geeigneteren verpflichten können als Rudolf Schati, obzwar er in den letzten Jahren nicht Regie geführt hat. Schati hat nicht nur aus einer sehr gründlichen Auseinandersetzung mit dem Text heraus inszeniert, aus einem guten Spürsinn für alle dramatischen Möglichkeiten, er hat Szenen und Gestalten, Bewegung, Sprache, ruhige wie zugespitzte Auseinandersetzung auch aus einer ganz genauen Kenntnis von Menschen und Milieu aufgebaut. Und da hat er keine Konzessionen gemacht. Er ging nicht auf dem Weg der äußeren Bewegung, sondern der inneren Spannung. Seine Konzeption verfolgte die Wahrheit der Atmosphäre und die Wahrheit der Gestalten, die szenische Herausarbeitung dessen, was der Autor an Aussagegehalt, an Ideengehalt, in das Stück hineingearbeitet hatte.

Eine der besten Aufführungen des Theaters, von sehr starker, emotionaler Wirkung. Ein wesentlicher Anteil daran gehört dem Ensemble, das die jeder Inszenierung notwendige Einheitlichkeit auch diesmal noch nicht erreicht hat, dafür aber eine Reihe von sehr guten darstellerischen Leistungen bot. Und eine hervorragende: das war Ottmar Strasser als Dorfmühlenbesitzer Kettenstock. Strasser offenbart immer mehr eine ungeahnte Vielseitigkeit, auch als Charakterdarsteller. Es war ein Vergnügen, ihm zu folgen, seinen kleinen, listigen Augen, aus denen jede Reaktion abzulesen war, die manchmal beinahe blicklos auf einen Gegenstand gerichtet waren und dennoch alles verrieten, was in Kettenstocks Kopf vor sich ging, an Spekulationen, an Kombinationen, an Schachzügen, die die Wassermühlenbesitzer matt setzen sollten. Er machte das Katz - und - Maus – Spiel mit dem ruinierten Gutsbesitzer im sadistischen Genuss dessen, der seines Erfolges sicher ist, er versuchte Taugner zu überreden, auf die Kommission zu verzichten, da Resis Heirat mit Karl einzuwilligen, Borth die Hand zu reichen, mit schmeichelnder Stimme, die sich immer wieder an den Gegner heranpirschte, jede Reaktion des andern registrierend, flink, schlau, kaum angedeutet. Alles war ausgewogen, jeder Ton, jede Geste, zum Bild eines Mannes, der das Geld anbetet und augenzwinkernd Existenzen vernichtet.

Peter Schuch gab den Johann Taugner : wuchtig, mitreissend, hart wo es hart zugeht, menschlich warm jenen gegenüber, zu denen er gehört. Taugners Gestalt hatte elementare Kraft. Erschütternd auch der aus dem Gefängnis entlassene, von Kettenstock ruinierte Wassermüller Baschtl  Hans Baumerts. Einer, der sich noch rächen und dann auf und davon gehen will, der nur mit diesem Gedanken beschäftigt ist, auch wenn er von etwas ganz anderem spricht. Eine gut überlegte Komposition. Otto Grassl spielte den Komitatsingenieur, Franz Gröger den Gutsbesitzer Molnàr, beide geckenhafte Lebemänner, mit manirierten Bewegungen, mit affektierten Stimmen. Als schauspielerische Leistungen gut, besonders an der Grassls hatte man seinen Spaß – Gröger muss noch herausarbeiten, dass seine Nonchalance nur vorgetäuscht ist, gegenüber dem Stil der Aufführung etwas störend, weil zu sehr Karikatur. Diese Bemerkung geht allerdings eher auf das Konto der Regie. Hans Kehrers Dorfrichter war gut angelegt, als klobiger, schwerfällig denkender und schwer begreifender, aber skrupellos handelnder Großbauer, in der Durchführung aber überzogen, in manchem überakzentuiert, besonders im letzten Bild. Alles in der guten Absicht, der Gestalt möglichst eine negative Wirkung  zu verleihen. Da muss noch gearbeitet werden. Das Paar Resi und Karl (Hadamuth Becker und Karl Hoffmann) hätte besser gewirkt, wenn auf das Melodramatische verzichtet worden wäre. Die übrigen Frauenrollen sind in ihrer Anlage etwas dürftig ausgestattet  und haben weder Elisabeth Kölbl (Bärbl), noch Helga Sandhof (Katti), noch Elisabeth Jürgens, die dennoch dramatische Kraft andeutete, besondere Möglichkeiten geboten. Gert Brotschi war gut, er spielte einen armen Bauern und Nikolaus Recktenwald hat mit dem besoffenen Gemeindediener – zur Rolle wurde bereits gesprochen  -  seine bisher beste Leistung geboten und immer wieder Heiterkeit ausgelöst. Die übrigen Mitwirkenden : Josef Jochum (als armer Bauer Ilie Rosu), Josef Rauch, Hans Mokka, Rolf Andersen, Gerhard Brössner, Hans Joachim Acker, Emmerich Schäffer, Oskar Schilz.

Eine Entwicklung von sechs Jahrzehnten, komprimiert in einem abendfüllenden Stück, im Spiegel des Ringens gegen das Hochwasser, die soziale Auseinandersetzung. Die Fabel des Stückes spielt im Jahre 1905, reicht aber bis in unsere Tage, da die Banater Hochwasserchronik durch große Entwässerungs- und Kanalisierungsarbeiten abgeschlossen wird. Das Leben selbst hat zu den sechs Bildern des Schauspiels das Vorspiel, das Zwischenspiel und das Nachspiel geschrieben. Das Leben selbst spielt es weiter, hat einer der Zuschauer gesagt. Eine der schönsten Anmerkungen

Artikel von Helga Reiter

 

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