Erzählungen: Märchenleseprobe
 

Märchen  „Ein König der bei jedem Kusse wuchs"

Erschienen in „BANATER MONATSHEFTE“ 3. Jahrgang 1933, Seite 41 – 46

Leseprobe:

Dass Menschen, was sie besitzen und wonach sie sich schon lange gesehnt, später oft nicht zu schätzen wissen, weil sie töricht sind, ist wohl vielen bekannt, jedoch der König aus dem Lande wo die goldenen Weihnachtsnüsse wachsen, wusste er nicht. Aber auch er sollte es eines Tages wissen und das kam so:

Als er noch ein ganz junger König war, wünschte er stets eine schöne, gütige Prinzessin zur Königin zu haben. Aber in allen Nachbarländern gab es keine einzige Königstochter, die so gewesen wäre, wie er sie sich wünschte. Die eine war schön, aber zu stolz, die andere war gütig, doch schon zu alt für ihn, und so hatte jede etwas an sich das er nicht mochte. Je mehr er aber suchte, umso mehr sank ihm der Mut, die Richtige zu finden.

Da hörte er eines Tages, dass in einem entfernten lande ( wo die Lebzelten wachsen ) eine junge Prinzessin wohne, die über alle Maßen schön und gütig sein sollte. Der König traute sich aber nicht um sie zu freien, weil er wusste, dass die Prinzessin von den vielen Freiern die sich eingefunden, keinen erwählt hatte.

Doch siehe, als er nach langem Zureden seines Ministers um ihre Hand anhielt, kam sein Glück zu ihm: die Prinzessin hatte „ja“ gesagt. Da gab es nun keinen glücklicheren Menschen auf der Welt, als den jungen König, der vor Freude nicht aus und ein wusste.

Zu der Hochzeit kamen Könige und Fürsten, Grafen und Edelleute und alle waren entzückt von der Schönheit und Güte der lieblichen Braut. Im Schlosse war ein Jubeln, Singen und Musizieren eine Woche hindurch und es sah aus, als sollte es niemals ein Ende nehmen.

Doch auch diese Tage verflogen, die Gäste fuhren heim, der König musste regieren und bald war ein halbes Jahr vergangen. Die Königin war lieb und gut wie am ersten Tage, kurz sie war so, wie man sich keine zweite zu wünschen brauchte. Doch bald gewöhnte sich der junge König daran, vergaß, welchen Schatz er besaß und ihm war, als müsse eben alles so sein.

Und dann geschah es auch, dass er sein Glück gering schätzte und eines morgens recht grob zu seiner Königin wurde. Er hatte schlecht geschlafen, allerhand dummes Zeug geträumt und war dazu auch noch mit dem linken Bein zuerst aufgestanden. Als ihm dann eine Kleinigkeit nicht passte, begann er zu brummen, und zuletzt zu schimpfen.

Das tat der Königin gar weh im Herzen. Sie sah ihren Gemahl mit großen Augen lang an, setzte sich dann auf ihr Bett und begann bitter zu weinen. Der König, als er sie weinen sah, bereute seine Brummigkeit, bat um Verzeihung und dann war alles wieder gut.

Doch nicht lange währte es und der König stand abermals mit dem verkehrten Beine zuerst auf. Diesmal war seine Laune noch schlechter. Wieder weinte die Königin, doch zuletzt ward wieder alles gut. Und so ging es noch öfter und schließlich fast alle Tage so. Die Königin verzieh ihm immer, denn sie blieb gütig, jedoch der König änderte sich nicht.

Der Herrgott aber, der doch alles sieht, was auf dieser Welt geschieht, nahm sich vor, den König ordentlich zu strafen, weil er so rasch seines Glückes vergessen hatte.

Und eines Morgens, als der König die Königin wieder um Verzeihung bat, ob seiner Brummigkeit und ihr einen Kuss gab, tat es einen lauten Knacks, so laut, dass der König sich umsah, denn er wusste nicht, was es sein mochte. Ja, als er seiner Frau einen zweiten Kuss gab, war der Knacks wieder zu hören.

„Hast du nichts gehört?“ fragte der König die Königin.

„Was denn?“ entgegnete sie.

„Nun, hm, einen Knacks?“

„Einen Knacks?“ fragte die Königin sehr erstaunt, „nein, ich habe gar nichts gehört!“

Da verwunderte sich der König und er meinte, er hätte sich getäuscht. Bevor er sich aber in seinen Thronsaal begab um zu regieren, verabschiedete er sich von der Königin mit einem Kusse. Da hörte er wieder einen Knacks. Erschrocken fuhr er in die Höhe und sah sich um. „Jetzt aber habe ich ihn ganz deutlich gehört!“ rief er aus. „Und du hast auch jetzt nichts vernommen?“

„Ei was denn?“ fragte ganz erstaunt die Königin.

„Ei nun, den verdammten Knacks“ schrie der König ganz erregt. „Das ist doch sonderbar, ich höre ihn und du nicht. Du bist doch nicht taub!“

Da stand nun die Königin und wusste nicht, was sie sagen sollte. Der König aber schritt nachdenklich aus dem Saal.

Als er zum Mittagessen in den Speisesaal trat, wo die Königin bereits wartete, trat sie ihm verwundert entgegen und rief: „Mein lieber Gemahl, wie ich zu meiner großen Freude sehe, bist du in der letzten Zeit ein gutes Stück gewachsen! Jetzt bist du gerade groß genug und wir sind ein Paar, wie man kein schöneres findet!“ Damit zog sie ihn vor einen Spiegel, stellte sich neben ihn und sie betrachteten sich beide.

„Du hast recht“ sprach dann der König, „ich bin ein gut Stück gewachsen, sieh einmal meine Hosen, wie sie kurz geworden sind. Und die Arme stehen ganz weit aus den Ärmeln hervor. Ich werde mir neue Kleider anmessen lassen.“

Nach dem Essen wollte sich die Königin in ihre Zimmer begeben.

Vorher aber gab ihr der König einen Kuss. Und wieder hörte er den Knacks, ganz laut und deutlich. Er schwieg aber still, er meinte, die Königin würde ihn auslachen oder verspotten.

Weil der König trotz seiner häufig schlechten Laune, im Grunde seines Herzens die Königin recht lieb hatte und ihr deshalb viele Küsse gab, musste er ebenso oft  auch den Knacks hören.

Eines morgens, als er sich ankleidete, merkte der König, dass ihm seine Kleider ganz und gar zu klein geworden waren. Denn bei jedem Kusse war er ein Stücklein gewachsen, immer ein Stücklein, bei vielen Küssen macht das aber viel aus! Verdrießlich stand der König vor dem Spiegel, betrachtete sich von allen Seiten, zupfte und zerrte an den Kleidern.

Jedoch sie waren und blieben zu klein. Als aber die Königin ihren Mann genauer ansah, schlug sie die Hände überm Kopf zusammen und rief: “ Um Gotteswillen, was ist denn mit dir geschehen? Du bist ja wieder gewachsen, um einen ganzen Kopf! Wenn das so weiter geht, bist du in einigen Tagen ja ein Riese!“ Damit begann sie bitterlich zu schluchzen und zu weinen.

Betroffen stand der König da und schnitt ein Gesicht, das gar nicht königlich aussah. (auch Könige sind manchmal ganz so wie die anderen Leute ). Endlich bückte er sich, tröstete seine weinende Frau, versprach ihr, seinen Leibarzt zu rufen, gab ihr einen Kuss ( wobei es wieder „Knacks“ machte ) und ging.

Der Leibarzt und der Hofschneider wurden gerufen und letzterer musste dem König gleich neue Kleider anmessen. Der Leibarzt aber zerbrach sich den Kopf über die Krankheit des Königs, fühlte den Puls, horchte am Herzen, jedoch er konnte nichts finden. Da befahl der König alle berühmten Ärzte aus den Nachbarländern an seinen Hof rufen zu lassen.

Die gelehrtesten und weisesten Ärzte kamen, aber keiner konnte finden, warum der König so sehr gewachsen  war. Der hatte nämlich verschwiegen, dass er bei jedem Kusse einen Knacks hörte. Und als er sah, dass die Ärzte nichts finden konnten, erzählte er ihnen von dem Knacks.

Da schnitten alle Ärzte auf einmal ein kluges Gesicht und zogen sich zu einer Beratung in ein Zimmer zurück. Dort blieben sie lange, stritten herum, wobei jeder am klügsten sein wollte, und als sie endlich heraustraten, trat der Älteste von ihnen vor den König, verneigte sich und sprach:

„Majestät, wir, die berühmtesten Ärzte aller Länder haben nach angestrengtem Nachdenken folgendes festgestellt: Der Knacks, welchen Ew. Majestät bei jedem Kusse, den Ew. Majestät Ihrer Majestät der Frau Königin zu geben geruhen, hören, muss die Ursache sein, weshalb Ew. Majestät in den letzten Tagen so ungewöhnlich viel gewachsen sind.

Damit aber Ew. Majestät nicht in Gefahr kommen noch mehr zu wachsen, verordnen wir Ew. Majestät die Frau Königin so lange nicht zu küssen, bis wir nicht ein Mittel gefunden haben Ew. Majestät die gewöhnliche Größe zurückzugeben. Wir bitten Ew. Majestät, unseren alleruntertänigsten Rat befolgen zu wollen!“

Der König aber, als er dies hörte, schrie:“ Nie und nimmer werde ich aufhören, meine liebe Frau zu küssen, und wenn ich dabei so hoch wie ein Kirchturm wachsen sollte! Wenn ihr kein anderes Mittel wisst, mir zu helfen, dieses ist mir zu schlecht.“ Er winkte mit der Hand, die Ärzte verneigten sich und verließen schweigend den Saal.

Und der König küsste seine Königin, hörte stets den  Knacks dabei und wurde immer größer. Nach zwei Tagen war er bereits so viel gewachsen, dass ihm die neuen Kleider, die der Hofschneider brachte, wieder zu klein waren, viel zu klein. Wenn er aber durch eine Tür ging – und in Königsschlössern sind hohe Türen – musste er sich bücken um nicht anzustoßen. Sein Bett ward ihm zu klein, dass er gar nicht mehr darin schlafen konnte. In aller Eile musste ein neues gezimmert werden. Wollte der König aber seine Frau küssen, musste er sich tief beugen. Die Königin war stets traurig und weinte Tag und Nacht.

Im Lande entstand eine große Aufregung als die Leute hörten, der König wachse immerzu und keiner könnte es verhindern, außer dem König selber, der nicht wolle. An allen Ecken und Plätzen standen die Leute in großen Haufen beisammen und besprachen das Unglück.

Zuletzt konnte sich der König keinem Menschen mehr zeigen, niemand würde ihn mehr erkannt haben, wenn man nicht gewusst hätte, dass es der König sei.

Und er wuchs immerzu - weil er es nicht unterlassen konnte seine Frau zu trösten und sie dabei zu küssen.

Endlich aber sah er doch ein, dass es so nicht weiter gehen  konnte. Er dachte nach, was er denn verschuldet hätte, weil ihm der Herrgott solch ein Schicksal zuteil werden ließ. Da ging ihm plötzlich ein Licht auf; ja er hatte sein Glück gering geachtet, war töricht gewesen und hatte seiner lieben Königin viel Schmerzen bereitet. Er grub sein Gesicht in beide Hände, weinte und nahm sich vor, von nun an gut, lieb und freundlich zu seiner Frau zu sein, die es wohl verdiente.

Und siehe, als er am nächsten Morgen erwachte, war er wie neugeboren, er fühlte sich so leicht, und als er aus dem Bette sprang, gewahrte er, dass er über Nacht seine frühere Gestalt wieder erhalten hatte. Der König stieß einen Jubelruf aus, küsste vor Freude die Königin und – o Wunder! Der Knacks war nicht mehr zu hören. Die Königin lachte und weinte vor Freude, fiel ihm um den Hals und sprach:“ Der Herrgott und du, ihr werdet beide wohl wissen, warum du das alles ertragen musstest!“

Es wusst’s aber auch ein Dritter und das war der heilige Petrus. Und als im Königsschloss ob der Heilung des Königs ein großes Fest gefeiert wurde, murmelte er in seinen Bart:

“ Noch mal diese Brummigkeiten du törichtes Bürschlein im Königsschlosse, dann werden wir dich nach unten wachsen lassen.“ Dann strich er sich den Bart zurecht und ließ seine Seele zum Himmelstor ein.

 

 

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