Im Zangengriff der Zeiten:
Stefan Heinz - Kehrer, sein langes Leben in vielen kurzen Geschichten

 

2001, ADZ Verlag Bukarest





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 Leseprobe S.231 - 233:

Bei Anbruch der dritten Nacht, ziehe ich meine Uniform aus und schlüpfe in meine Tarnkleider und fühle mich wirklich erleichtert. Die deutschen Soldatenschuhe sind eh verschmutzt, als solche kaum zu erkennen. Schwer ist der Abschied von Jakob und Scherer, Jakob will im Dorf bleiben, Scherer will nach Denta zu seiner Familie – falls sie nicht auch geflohen ist.

Wir halten uns fest an den Händen und wünschen einander viel Glück in einer dunklen und ungewissen Zukunft. Werden wir uns je wiedersehen? Das weiß nur Gott! Noch ein Zunicken – und ich verliere mich in der Dunkelheit. Und bin auf mich allein gestellt!

Für mich gilt nur ein Ziel: Lenauheim, zur Schwiegermutter. Sie ist daheim geblieben, betreut ihre alte Mutter, die "Großi", weil die nicht transportfähig war, mit ihren 77 Jahren. Dort kann ich untertauchen, bis zum Ende des Krieges, zum Warten und zur Untätigkeit verdammt. Schaffe ich das – bin ich gerettet.

Zum Glück kenne ich meine Heimat: kenne den Lauf der Straßen und, was noch wichtiger ist, den Lauf der Flüsse! Ich habe vier zu überqueren! Die Karasch, schon in der ersten Nacht, die Temesch, die Bega und die Bergsau bei Tschene. Vier Flüsse, vier schwierige Punkte. Werden die Brücken bewacht sein? Muß ich am Ende durchs Wasser?

Parallel zur Bahnlinie Stamora-Temeswar, aber mit Abstand, gehe ich in Richtung Detta und vermeide die Straße Detta-Werschetz.

Es ist dunkel und still. Bevor die Eisenbahnlinie die Brücke über die Karasch erreicht, überquere ich sie, gehe auf der stillen Straße. Es herrscht Ruhe, kein Geräusch, kein Fahrzeug ist zu hören. Auf dieser Straße überquere ich auch die Karasch, die niedrige flache Brücke ist nicht bewacht. Ich verlasse die Straße, schwenke dann weitaus nach rechts und umgehe Detta in einem großen Bogen nach links. Aber Vorsicht: ich mußt die Temeswarer Straße überqueren! In einem Maisfeld halte ich an und beobachte die Straße. Es bleibt still. Ich sehe aber ein hohes, klotziges Gebäude, das wird wohl die Mühle sein. Dort ist es hell und dort stehen auch Fahrzeuge. Auch hier sind Schatten bei der Arbeit.

Ich überquere diese Straße und erleichtert treffe ich einen Feldweg in Richtung Nordwest. Wohin er führt ist mir nicht ganz klar. Nach Gilad, nach Tschakowa?

Kein Mensch begegnet mir. Ich habe keine Uhr, schätze aber, daß es drei oder vier Uhr sein müsse.

Vor mir, in der Ferne, bellt ein Hund. Ich nähere mich einem Dorf. Nach einer guten Weile sehe ich helle Giebel in einer Front. Sie schimmern mir blaß entgegen.

Und dann stehe ich vor dieser Häuserreihe. Der erste Giebel gefällt mir nicht, er ist verwahrlost. Der zweite ist sauber und in Ordnung. Sieht so vertraut, so schwäbisch aus.

Ich klopfe an das Fenster. Eine Männerstimme antwortet, dann öffnet sich das Fenster.

"Wer ist do?"

Mein Herz lacht, das ist ein Landsmann.

Ich sage: "E Soldat. Ich kumm aus Werschetz."

"Du bischt net dererscht! Do wor schun eener. Kumm rin – wart bisje, ich tun´s Tierche ufrigle."

Ich warte an der Hoftür, der Alte kommt und riegelt auf.

Bevor ich eintrete, frage ich ihn: "Saat mer noch, wu sin ich dann?"

Der Alte: "In Hoppsenitz. (Offsenitza)"

Besser hätte ich es nicht treffen können! Ein kleines schwäbisches Dorf!

Wie gastlich ist diese Hoftür! Ich trete ein, als wäre ich zuhause.

"Mein Name is Röhrich" sagt der Alte.

Und ich sage: "Mei Name is Müller un ich sen aus Deutschsanktpeter."

Es ist ein falscher Name und ein falscher Ort. Aber es ist besser so. Niemand darf wissen, daß ich im Lande bin.

Im Hause, verhüllt er die Fenster zur Gasse, schraubt den Docht der Öllampe höher und wir nehmen Platz.

Ich brauche ihm nicht zu erzählen, wie es in Werschetz war, mein Vorgänger hat es ihm schon berichtet. Ein Feldwebel. War es der, dem ich die von mir gezeichnete Landkarte übergeben hatte, uns zu führen! Der sich im Trubel verloren hatte, wie auch ich?

Der alte Mann bringt mir Brot und geräucherten Schinken und fordert mich auf zu essen.

Ich fühle mich geborgen, wie auf einer Insel im Ozean. Der Krieg ist vorübergerollt und hat mich wie einen Stein an den Rand geschleudert, ist weitergejagt und ich bin mir selbst überlassen. Und der Güte der Meinigen, zu denen auch der Alte gehört.

Auch er hat einen Sohn in der Wehrmacht und fragt sich, ob dieser wohl das nahe Kriegsende erleben werde. Ich wünschte es ihm.

Bevor ich gehe, danke ich dem alten Mann für die freundliche Aufnahme und bitte ihn um seinen ältesten und schäbigsten Hut, den er nimmer brauche. O ja, er hat einen alten zerschlissenen Strohhut, den er nur aufsetze wenn er die Reben im Weingarten spritzt. Ja, der paßt zu meinem Tagelöhner mit dem alten Brotsack auf der Schulter. Dann erklärt er mir den Weg nach Tschakowa. Nochmals danke ich dem freundlichen Mann und sage: "Vleicht treffe mir uns nochmol, s Lewe muß jo doch irgenwie weidergehn." Er nickt mir zu und begleitet mich bis vor das Haus, zeigt mir den Weg.


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