Bei
Anbruch der dritten Nacht, ziehe ich meine Uniform aus und schlüpfe
in meine Tarnkleider und fühle mich wirklich erleichtert. Die
deutschen Soldatenschuhe sind eh verschmutzt, als solche kaum zu
erkennen. Schwer ist der Abschied von Jakob und Scherer, Jakob will im
Dorf bleiben, Scherer will nach Denta zu seiner Familie – falls sie
nicht auch geflohen ist.
Wir
halten uns fest an den Händen und wünschen einander viel Glück in
einer dunklen und ungewissen Zukunft. Werden wir uns je wiedersehen?
Das weiß nur Gott! Noch ein Zunicken – und ich verliere mich in der
Dunkelheit. Und bin auf mich allein gestellt!
Für
mich gilt nur ein Ziel: Lenauheim, zur Schwiegermutter. Sie ist daheim
geblieben, betreut ihre alte Mutter, die "Großi", weil die nicht
transportfähig war, mit ihren 77 Jahren. Dort kann ich untertauchen,
bis zum Ende des Krieges, zum Warten und zur Untätigkeit verdammt.
Schaffe ich das – bin ich gerettet.
Zum
Glück kenne ich meine Heimat: kenne den Lauf der Straßen und, was
noch wichtiger ist, den Lauf der Flüsse! Ich habe vier zu überqueren!
Die Karasch, schon in der ersten Nacht, die Temesch, die Bega und die
Bergsau bei Tschene. Vier Flüsse, vier schwierige Punkte. Werden die
Brücken bewacht sein? Muß ich am Ende durchs Wasser?
Parallel
zur Bahnlinie Stamora-Temeswar, aber mit Abstand, gehe ich in Richtung
Detta und vermeide die Straße Detta-Werschetz.
Es
ist dunkel und still. Bevor die Eisenbahnlinie die Brücke über die
Karasch erreicht, überquere ich sie, gehe auf der stillen Straße. Es
herrscht Ruhe, kein Geräusch, kein Fahrzeug ist zu hören. Auf dieser
Straße überquere ich auch die Karasch, die niedrige flache Brücke
ist nicht bewacht. Ich verlasse die Straße, schwenke dann weitaus
nach rechts und umgehe Detta in einem großen Bogen nach links. Aber
Vorsicht: ich mußt die Temeswarer Straße überqueren! In einem
Maisfeld halte ich an und beobachte die Straße. Es bleibt still. Ich
sehe aber ein hohes, klotziges Gebäude, das wird wohl die Mühle
sein. Dort ist es hell und dort stehen auch Fahrzeuge. Auch hier sind
Schatten bei der Arbeit.
Ich
überquere diese Straße und erleichtert treffe ich einen Feldweg in
Richtung Nordwest. Wohin er führt ist mir nicht ganz klar. Nach Gilad,
nach Tschakowa?
Kein
Mensch begegnet mir. Ich habe keine Uhr, schätze aber, daß es drei
oder vier Uhr sein müsse.
Vor
mir, in der Ferne, bellt ein Hund. Ich nähere mich einem Dorf. Nach
einer guten Weile sehe ich helle Giebel in einer Front. Sie schimmern
mir blaß entgegen.
Und
dann stehe ich vor dieser Häuserreihe. Der erste Giebel gefällt mir
nicht, er ist verwahrlost. Der zweite ist sauber und in Ordnung. Sieht
so vertraut, so schwäbisch aus.
Ich
klopfe an das Fenster. Eine Männerstimme antwortet, dann öffnet sich
das Fenster.
"Wer
ist do?"
Mein
Herz lacht, das ist ein Landsmann.
Ich
sage: "E Soldat. Ich kumm aus Werschetz."
"Du
bischt net dererscht! Do wor schun eener. Kumm rin – wart bisje, ich
tun´s Tierche ufrigle."
Ich
warte an der Hoftür, der Alte kommt und riegelt auf.
Bevor
ich eintrete, frage ich ihn: "Saat mer noch, wu sin ich dann?"
Der
Alte: "In Hoppsenitz. (Offsenitza)"
Besser
hätte ich es nicht treffen können! Ein kleines schwäbisches Dorf!
Wie
gastlich ist diese Hoftür! Ich trete ein, als wäre ich zuhause.
"Mein
Name is Röhrich" sagt der Alte.
Und
ich sage: "Mei Name is Müller un ich sen aus Deutschsanktpeter."
Es
ist ein falscher Name und ein falscher Ort. Aber es ist besser so.
Niemand darf wissen, daß ich im Lande bin.
Im
Hause, verhüllt er die Fenster zur Gasse, schraubt den Docht der Öllampe
höher und wir nehmen Platz.
Ich
brauche ihm nicht zu erzählen, wie es in Werschetz war, mein Vorgänger
hat es ihm schon berichtet. Ein Feldwebel. War es der, dem ich die von
mir gezeichnete Landkarte übergeben hatte, uns zu führen! Der sich
im Trubel verloren hatte, wie auch ich?
Der
alte Mann bringt mir Brot und geräucherten Schinken und fordert mich
auf zu essen.
Ich
fühle mich geborgen, wie auf einer Insel im Ozean. Der Krieg ist vorübergerollt
und hat mich wie einen Stein an den Rand geschleudert, ist
weitergejagt und ich bin mir selbst überlassen. Und der Güte der
Meinigen, zu denen auch der Alte gehört.
Auch
er hat einen Sohn in der Wehrmacht und fragt sich, ob dieser wohl das
nahe Kriegsende erleben werde. Ich wünschte es ihm.
Bevor
ich gehe, danke ich dem alten Mann für die freundliche Aufnahme und
bitte ihn um seinen ältesten und schäbigsten Hut, den er nimmer
brauche. O ja, er hat einen alten zerschlissenen Strohhut, den er nur
aufsetze wenn er die Reben im Weingarten spritzt. Ja, der paßt zu
meinem Tagelöhner mit dem alten Brotsack auf der Schulter. Dann erklärt
er mir den Weg nach Tschakowa. Nochmals danke ich dem freundlichen
Mann und sage: "Vleicht treffe mir uns nochmol, s Lewe muß jo doch
irgenwie weidergehn." Er nickt mir zu und begleitet mich bis vor das
Haus, zeigt mir den Weg.
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